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Hanauer Bote 31.07.2020

31.07.2020 | Hanauer Bote von 31.07.20

Danke liebe Nikole Schmidt für den wieder, so wunderbaren Artikel ❤️

+++ Basilikumbeet am Bahnsteig +++

„Strassenengel“ am Hanauer Nordbahnhof ernten dank „Urban Gardening“ ihr eigenes Gemüse

Hanau (nic). Es ist kurz nach zwölf, Mittagszeit. Claus Viering schlüpft durch das kleine Gartentor und zupft ein paar Blätter von einer üppigen Basilikumpflanze. Der Koch, der für Liebhaber hessischer Küche in Hanau kein Unbekannter sein dürfte, unterstützt derzeit die „Strassenengel“ und zaubert in der geräumigen Küche ehrenamtlich köstliche Mahlzeiten für Menschen, für die einen Restaurantbesuch sonst jenseits aller Vorstellungskraft liegt. Heute gibt’s ein Bauernomelett mit Gemüse, dazu frischen Salat. Das duftet köstlich, sieht vielversprechend aus und was drinsteckt, könnte regionaler kaum sein: frische Kräuter nebst Gemüse aus dem eigenen Garten und überdies noch Eier, die von ziemlich glücklichen Hühnern gelegt wurden, wie ein Blick in das Gartenprojekt der „Strassenengel“ offenbart. 

Urban Gardening ist in aller Munde, immer noch. Oder schon wieder. In ihrer letzten Sitzung vor der Sommerpause jedenfalls haben die Hanauer Stadtverordneten einen Prüfantrag zur Schaffung solcher innerstädtischer Minigärten verabschiedet. Es war nicht der erste, denn das Thema beschäftigt auch die politischen Entscheidungsträger in der Grimmstadt schon lange – ohne konkrete Ergebnisse allerdings. Im „Haus der Strassenengel“ ist man da schon ein paar Schritte weiter. 
Auf fünf Hochbeeten wachsen direkt neben der Einrichtung, die seit 2017 Anlaufstelle für Obdachlose und von Altersarmut betroffene Menschen ist, auf einer bislang brachliegenden Grünfläche direkt neben dem Nordbahnhof inzwischen Tomatenpflanzen in beachtliche Höhen, gewinnen noch grüne Erdbeeren zunehmend an Farbe und auch Zwiebeln, Paprika und Kartoffeln entwickeln sich prächtig. Zwischen den Beeten stolziert eine kleine Hühnerschar, deren zufriedenes Gackern zu vernehmen ist, bis auf Gleis eins geräuschvoll die nächste Regionalbahn einfährt. Damit die fünf Hennen bestimmungsgemäß täglich fünf Eier legen, sorgen täglich frisch gezupfte Salatblätter für optimale Nährstoffversorgung und ein eigener Hühnerpool für tierische Zerstreuung.  
Ideengeber für dieses Öko-Idyll an ungewöhnlicher Stelle war ein Bekannter von Sabine Assmann, „Strassenengel“-Gründerin und dafür bekannt, für gut befundene Einfälle stets ziemlich zeitnah in die Realität umzusetzen. Er erzählte ihr von einem in Seligenstadt geplanten Urban-Gardening-Projekt und legte damit quasi den Grundstein für das, was in Hanau schon ein paar Monate später auf einem bislang ziemlich unauffälligen Grundstück blühte. Vor ziemlich genau einem Jahr nämlich fragte Sabine Assmann bei der Deutschen Bahn, der das Grundstück gehört, an, ob eine Nutzung der Fläche, die der Verein bislang bereits für die Aufstellung eines als Kleiderkammer fungierenden Containers nutzte, denkbar sei. Die sagte ja und inzwischen ist das „Urban-Gardening-Projekt“ eine grüne Oase inmitten von Beton, die auch optisch das seit dem Einzug der „Strassenengel“ spürbar gepflegtere Bahnhofsareal noch weiter aufwertet. 
Dahinter steckt, man ahnt es, eine Menge Arbeit. 18 Tonnen Muttererde und 23 Tonnen Schotter wurden per Muskelkraft aufs Areal gekarrt und aus Euro-Paletten sowohl Hochbeete als auch Gartenmöbel selbst gebaut. Der Hühnerstall ist ebenfalls Marke Eigenbau und ein kleiner Jägerzaun sorgt dafür, einen allzu großen Freiheitsdrang des Federviehs zu beschränken. Drei Wochen lang waren Sabine Assmann, ihre ehrenamtlichen Helfer und Gäste aus dem „Haus der Strassenengel“ im wahrsten Wortsinn schwer beschäftigt, konnten aber dafür schon im Herbst vergangenen Jahres die ersten Früchte ihrer fleißigen Arbeit ernten.
Apropos Arbeit: Die Corona-Pandemie war und ist auch für die „Strassenengel“ eine große Herausforderung, und hinter Sabine Assmann und ihren „Engeln“ liegen anstrengende Wochen und Monate. Denn gleichwohl der Verein sich nach wie vor über viele Unterstützer freuen kann, bekam auch er zu spüren, dass die Spendenbereitschaft unter der Pandemie merklich zurückging. Die rund 3.500 Euro Kosten für den monatlichen Betrieb der Einrichtung indes fielen natürlich auch weiterhin an, und allein die Energiekosten für die quasi nonstop laufende Waschmaschine und den Geschirrspüler verschlingen ein kleines Vermögen. Doch Einschränkungen hin oder her – das „Haus der Strassenengel“ gerade in dieser Zeit zu schließen, kam für Assmann nicht infrage – auch wenn der Betrieb unter Corona-Bedingungen viel Kraft gekostet hat. Viele Ehrenamtliche mussten, Stichwort Risikogruppe, daheim bleiben und das Essensangebot für Bedürftige um einen Lieferdienst ergänzt werden, weil sich nur noch fünf Gäste im Haus aufhalten durften. Gemeinsam mit zwei Teilzeitkräften und Koch Claus wuppte Assmann den Laden, ist aber durchaus besorgt, dass das noch nicht alles gewesen sein könnte. „Wenn wir eine zweite Welle bekommen, wird es wirklich eng.“
Denn allein mit dem, was der „Strassenengel“-Garten abwirft, bekommt der Verein seine Gäste natürlich nicht satt. Dass das urbane Gärtchen nestfrische Eier, selbst gezogene Kartoffeln und allerlei Kräuter für die täglich 20 bis 30 Mittagessen im „Haus der Strassenengel“ abwirft, ist zwar eine tolle Sache, doch bei dem Projekt geht es, sagt Assmann, „längst nicht nur um Basilikum“. Die Beete wollen gepflegt, die Hennenschar gefüttert, der Stall sauber gehalten werden – für viele hier eine überaus willkommene Aufgabe. „Unsere Gäste und Mitarbeiter bringen sich da sehr, sehr engagiert ein“, freut sich die „Strassenengel“-Chefin. „Und dass ich mal ein solches Faible für Hühner entwickeln würde, hätte ich auch nie für möglich gehalten“, lacht sie und streicht Henne Susanne übers Federkleid. 

Wer die Arbeit der „Strassenengel“ unterstützen will, kann das über PayPal an info@strassenengel.org oder das Spendenkonto Strassenengel e.V. bei der Sparkasse Hanau DE 10 5065 0023 0020 1185 50, BIC: HELADEF1HAN tun. Aktuell wäre zudem ein nicht mehr benötigter großer Sonnenschirm als Schattenspender im Garten eine überaus willkommene Gabe. 

Ein Herz für Hühner: Sabine Assmann hat die gefiederten Bewohner des Gartenprojekts liebgewonnen.

 

Grünes Idyll an Gleis eins: Das Urban-Gardening der „Strassenengel“ ist ein echter Hingucker. Fotos: Schmidt